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Begriff Governance

Governance

  • Version 1.0
  • Veröffentlicht Dienstag, 18. Mai 2021

Zum Wort

Das seit dem 13. Jahrhundert belegte governaunce/ governance schreibt die gesamte Bandbreite des lateinischen Verbs gubernare und des griechischen Verbs κυβερνάω (kybernáo) fort. Von der Grundbedeutung des Lenkens, Steuerns und Führens eines Schiffs wurden schon in der Antike politische (Regierungsführung), ökonomische (Haushaltsführung) und moralische (Lebensführung) abgeleitet, ebenso konnte der Begriff in Kontexten der Medizin (Diät) zur Anwendung kommen.

Diskurse und Kontexte

1. Verwendung in der englischen und französischen Bildungssprache seit dem 13. Jahrhundert

In der englischen und französischen Bildungssprache vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert wird unter governaunce/governance Regierung im Sinne von Regierungsausübung verstanden. Governaunce/ governance bezeichnet dabei zum einen die Instanz, die de facto die Macht in Händen hält, zum anderen die Art und Weise der Ausübung, so dass von good und bad governance die Rede sein kann. (DUNHAM/ WOOD, 744, 752; ROTULI, 464) Die Ausübung der Regierung ist in diesem Diskurs stets mit der allgemeinen Vorstellung von Leiten und Steuern assoziiert: der Begriff umfasst auch die christliche Lebensführung, die Führung des Haushalts, die Führung von Schiffen und militärischen Einheiten, die Selbstbeherrschung, die medizinische Diät und mechanische Steuerungen.

Quellen
  • DUNHAM William Huse, Jr., WOOD Charles T.. The Right to Rule in England: Depositions and the Kingdom’s Authority, 1327–1485. The American Historical Review, Volume 81, Issue 4, October 1976, Pages 738–761, https://doi.org/10.1086/ahr/81.4.738
  • DUPONT-FERRIER, Gustave. Le mot « Gouverner » et ses dérivés dans les institutions françaises du Moyen Âge. In: Journal des savants, Mars-avril 1938. pp. 49–60; https://doi.org/10.3406/jds.1938.2974
  • EEBO. “governance”. In: Early English Books, online. https://quod.lib.umich.edu/… (Besucht am 16. Mai 2021).
  • MED. “governaunce”. In: Middle English Dictionary, online. https://quod.lib.umich.edu/… (Besucht am 12. Mai 2021).
  • ROTULI PARLIAMENTORUM; UT Et Petitiones, Et Placita In Parliamento. 5: Ab Anno Decimo Octavo R. Henrici Sexti ad Finem eiusdem Regni. London 1769 ff. [1461]

1.2. Diskurs der Neuen Institutionenökonomie

Im wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs der Institutionenökonomie bezieht sich Governance auf Strukturen, Institutionen und Organisationen, die eingerichtet werden, um koordiniert und ökonomisch erfolgreich zu agieren. Hintergrund dieser Verwendung ist die im Liberalismus geprägte Überzeugung, dass das Regulierungssystem in der Ökonomie allein das von Markt und Preis ist. In Absetzung von dieser Doktrin führt Ronald Coase 1937 das Konzept der Firma als koordiniertes System ein (ohne den Begriff Governance zu verwenden). (COASE) Dem System des Marktes wird die Organisation der Firma als ein zweites Regulierungssystem an die Seite gestellt. Als Oliver Williamson seit den 1990er Jahren Coases Einsatz zu einer Theorie des Corporate Governance ausbaut, entsteht ein Diskurs, der Governance generell in Zusammenstellungen wie “institutions of governance (markets, hybris, hierarchies, bureaus)”, “governance structures” und “mechanisms of governance” (WILLIAMSON, 5) verwendet. Governance bedeutet hier: Regulierung durch ein System.

Quellen
  • COASE, Ronald. “The Nature of the Firm”. In: Economica. 16.4 (1937), 386–405
  • WILLIAMSON, Oliver E. The Mechanisms of Governance. New York 1996.

1.3. Diskurs der Politikwissenschaften seit dem späten 20. Jahrhundert

Im Diskurs der Politikwissenschaften wird Governance seit den 1990er Jahren in zwei unterschiedlichen Bedeutungen verwendet: Zum einen bezeichnet hier Governance eine dem klassischen Bild von staatlicher Machtausübung (government) entgegengesetzte Form des Regierens. In diesem Sinne wird Governance “zur Bezeichnung der Gesamtheit aller in einem Gemeinwesen bestehenden und miteinander verschränkten Formen der kollektiven Regelung gesellschaftlicher Sachverhalte benutzt” (MAYNTZ 2010, 38). Der politikwissenschaftliche Diskurs verwendet Governance aber zugleich auch unspezifisch “als Oberbegriff aller Formen sozialer Handlungskoordination”: “Governance umfasst die Gesamtheit der zahlreichen Wege, auf denen Individuen sowie öffentliche und private Institutionen ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln. […] Der Begriff umfasst sowohl formelle Institutionen und mit Durchsetzungsmacht versehene Herrschaftssysteme als auch informelle Regelungen” (BENZ 2010, 17). Die Parallelität von Oberbegriff und auf spezielle Regulierungsweisen rekurrierendem Begriff führt innerhalb der politikwissenschaftlichen Diskurse zu einigen Schwierigkeiten in der Begriffsverständigung (BENZ 2010 u. SCHUPPERT 2007).

Quellen
  • BENZ, Arthur. „Einleitung“. In ders. u. Nicolai Dose (Hrsgg.). Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen. Eine Einführung. Wiesbaden 2010, 12–28.
  • MAYNTZ, Renate: „Governance im modernen Staat“. In: Arthur Benz u. Nicolai Dose (Hrsgg.). Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen. Eine Einführung. Wiesbaden 2010 (1. Aufl. 2004.), 37–48.
  • SCHUPPERT, Gunnar Folke. „Was ist und wozu Governance?“ In: Die Verwaltung. Zeitschrift für Verwaltung und Verwaltungswissenschaften. 40. Band (2007), 463–511.

Literatur zum Begriff

  • Arthur BENZ u. Nicolai DOSE (Hrsgg.). Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen. Eine Einführung. Wiesbaden 2010 (1. Aufl. 2004).
  • BEVIR, Mark (Hrsgg.). The SAGE Handbook of Governance. London 2011.
  • MAYNTZ, Renate: „Governance im modernen Staat“. In: Arthur Benz u. Nicolai Dose (Hrsgg.). Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen. Eine Einführung. Wiesbaden 2010 (1. Aufl. 2004.), 37–48.
  • SCHUPPERT, Gunnar Folke. Einleitung. In: ders. u. Michael Zürn (Hrsgg.). Governance in einer sich wandelden Welt. Wiesbaden 2008, 13–42.

Zitiervorschlag

Werner Kogge, „Governance“, Version 1.0, Dienstag, 18. Mai 2021, ORGANON terminology toolbox, Berlin: eDoc-Server der Freien Universität Berlin.

  • ORGANON terminology toolbox (von gr. ὄργανον: Werkzeug) ist ein Instrument zur Orientierung in der Landschaft interdisziplinär relevanter Begriffe und Theorien. Mit wenigen Blicken finden Sie hier einen Überblick über relevante Diskurse, Grundlagentexte und weiterführende Links.

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